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Funktionen und Aufgaben von Übergangscoaching

Die Anforderungen an die persönliche Laufbahn- und Lebensgestaltung werden für Ihre Klientinnen und Klienten immer vielschichtiger, umfangreicher und unbestimmter. Im Beratungsansatz des Übergangscoachings werden Klienten ermächtigt, ihre Übergangskompetenzen nachhaltig zu entwickeln und ihre Übergänge damit authentisch zu bewältigen und zu gestalten. In diesem (zugegebenermaßen etwas theoretischen Artikel) stelle ich Ihnen einige Hintergründe und mein Kompetenzmodell, auf dem mein Konzept des Übergangscoaching aufgebaut ist, dar. Der Artikel erscheint in erweiterter Form in der Aprilausgabe der Zeitschrift Berufsbildung.

Beratung als Orientierungshilfe

Der Komplexitätszuwachs in einer globalisierten Welt mit ihrem rasanten Wissenszuwachs geht einher mit einem „Zukunftsgewissheitsschwund“ (Hargasser), durch den die planvolle Lebensprognostik und Lebensabsicherung für die Einzelnen zu einer zunehmend schwer zu bewältigenden Anforderung wird. Der hohe Anpassungs- und Flexibilitätsdruck kann entweder zu hilflosem Sach- und Entwicklungsgehorsam führen oder er mündet in vielen Bereichen in die Inanspruchnahme der Hilfestellung von Fachleuten. Der Wirtschaftspädagoge Karlheinz Geißler geht sogar so weit, Beratung als Sinnersatz zu bezeichnen, indem sie als „gut geratenes Kind ihrer hochmobilen Zeit“ als neue Zugangsmöglichkeit zu individueller Sinnfindung gesehen werde. Er betont jedoch, dass Beratung nicht mit dem Versprechen werben dürfe, die Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ihrer Klienten in Sicherheit und Orientierung zu verkehren.

Es ist zu beobachten, dass sich die Inkonsistenzen bzw. Kontingenzen, mit denen sich eine große Zahl an Menschen heute auseinandersetzen muss, den Erfahrungen psychisch kranker Menschen annähern. Eine diversifiziertere bzw. identitätsmultiplere Welt bietet nun zwar eher die Chance, einen Platz für individuelle Lebensformen zu finden. Allerdings ist Beratung zwar im psychiatrischen Kontext selbstverständlich, im gesellschaftlichen Bildungs- und Berufs­bildungs­kontext dagegen noch lange nicht. Übergangscoaching versucht, einen Teil dieser Lücke zu schließen.

Unterstützung bei der individuellen berufsbiografischen Gestaltungsaufgabe

Da in Anbetracht des Strukturwandels der Arbeitsgesellschaft heute immer weniger Vorgaben von Beschäftigung aus gesellschaftlichen Strukturen entwickelt werden, sind die Individuen auf ihre Biografien und Sozialräume verwiesen, in denen sie ihre Kompetenzen erkennen, Interessen und Bedürfnisse formulieren und Wege zu ihrer Verwirklichung suchen. Begleitung und Unterstützung bei dieser neuen berufsbiografischen Gestaltungsaufgabe aus der Perspektive des Individuums kristallisiert sich als die Kernaufgabe einer zeitgemäßen Übergangsberatung heraus. Immer wieder geht es um die Suche nach Kohärenz und den roten Faden der Biografie.

Erst auf dieser Basis werden Zukunftsorientierungen möglich, die sinnvoll an Vergangenes anknüpfen und zu tragfähigen Lösungen führen. Wenn es eine Aufgabe der Beschäftigungspolitik ist, Handlungsspielräume der Individuen zu sichern und anzuregen, dass Menschen ihre Interessen und Bedürfnisse artiku­lieren, sowie die Möglichkeit der Teilnahme an einer gesellschaftlichen Tätig­keits­struktur zu schaffen, so ist es Aufgabe der Individuen, diese Spielräume zu nutzen und zu gestalten. Übergangsberatungsangebote können hier Strukturhilfe bieten und einen sozialen Raum für diese komplexen Herausforderungen bereitstellen.

Prozessfreiraum

Mit Übergängen verbundene Belastungen und Chancen werden als verdichtete Entwicklungsanforderungen verstanden, die mit intensiven Lernprozessen bewältigt werden müssen. Um diesen hohen Anforderungen gerecht werden zu können, müssen gesellschaftlich garantierte Rückzugsräume für die Betroffenen geschaffen werden. Verena Kast weist darauf hin, dass bei in Märchen beschriebenen Übergangsphasen dem Protagonisten stets ein Moratorium gestattet wird, weil gerade in dieser Zeit (erneut) der Zugang zu den Ressourcen gefunden wird, die dazu beitragen, die Identität wieder neu zu stabilisieren (vgl. Kast 1998). Die Vorbereitung der erneuten Realisierung des eigenen Lebens in einer gesellschaftlichen Form benötigt den beschriebenen Freiraum.

Vermittlung von Übergangswissen

Kompetenz betrifft auch die Befähigung, das an der einen Aufgabe erlernte Wissen für neue Aufgaben umzustrukturieren, passfähig zu machen und das erforderliche neue Wissen zu generieren. Dieser Prozess des Transferierens kann in der Übergangsberatung eingeleitet und auch in Ansätzen eingeübt werden. Ziel ist es, einen positiven Transfer zu ermöglichen, indem vergangene Übergangskompetenzen bewusst gemacht werden, die dann im horizontalen Transfer ein schnelleres und besseres Bewältigen zukünftiger Situationen erlauben. Auch der vertikale Transfer kann unterstützt werden, indem die Klienten neue Fähigkeiten kennenlernen und deren Anwendung z. B. im Rahmen von Gruppenerfahrungen ausloten können, um sie in das eigene Fähigkeitsspektrum zu integrieren.

Die Beraterinnen und Berater sind dabei gefragt, den Klienten ihr metakognitives Wissen beispielsweise im Bezug auf die persönlichen Ressourcen, die Besonderheiten des eigenen Lernens, aber auch im Hinblick auf die prozessuale Vorgehensweise bei der angemessenen Anwendung kognitiver Strategien zugänglich und bewusst zu machen. Metakognitive Kontrollprozesse sind dabei Bestandteil einer Neuorientierungskompetenz, die am Ende des Übergangsprozesses, im Übergang in die nächste Lebensphase existentiell relevant wird und im Laufe des Prozesses Zug um Zug aufgebaut werden sollte.

Kompetenzentwicklung beinhaltet aber auch Prozesse, die die Einstellung und Motivation der Klienten betreffen, denn hierüber werden Verhalten und Leistung vorrangig beeinflusst. Ein hoher Grad personaler Motivation ist auch in der Bewältigung von Übergangsprozessen vonnöten, da sich Lösungsansätze häufig erst im späten Verlauf des Prozesses abzuzeichnen beginnen.

Empowerment

Das Konzept des Empowerment umfasst sowohl externe Ermutigung (empowering) als auch die Entwicklung dauerhafter interner Motivationsstrukturen (being empowered). Als Haltung und Methode der psychologischen und sozialen Arbeit hat es in den letzten Jahrzehnten weite Verbreitung gefunden. Heute dient es als Sammelkategorie für alle Ansätze der psychosozialen Praxis, die Menschen in ihrem Prozess der Selbstbefähigung und Selbstermächtigung unterstützen wollen. Empowerment im Rahmen der Übergangsberatung bedeutet also einerseits, Hilfestellung bei der Aneignung von Selbstbestimmung und Lebensautonomie zu geben, gleichzeitig aber auch Befähigung zur Selbstbefähigung aufzubauen, also die Entwicklung der eigenen Kompetenzen selbst zu betreiben. Die Kontrolle über das eigene Leben (zurück) zu gewinnen, ist eine Kernforderung des Empowerment. Die Empowerment-Perspektive fasst wichtige Lernprozesse der letzten Jahre zusammen und ist in diesen Aspekten anschlussfähig an das Beratungsparadigma des Übergangscoachings:

  • die Abkehr von der Defizit- oder Krankheitsperspektive zur Ressourcen- oder Kompetenzperspektive
  • die Überwindung der einseitigen Betonung der Lösungskompetenz auf Seiten der professionellen Akteure hin zu einer partnerschaftlichen Kooperation von Betroffenen und Fachleuten
  • die Unterstützung in der (erneuten) Übernahme von Kontrolle über und Verantwortung für die eigenen Lebensbedingungen im Gegensatz zu einer Versorgungsperspektive, die mit erlernter Hilflosigkeit und Demoralisierungsprozessen einhergeht.

Erwerb und Entwicklung von Übergangskompetenzen

Die für mich zentralste Funktion im Übergangscoaching ist die Entwicklung von Übergangskompetenzen. In einer beruflichen Beratung geht es generell darum, Kompetenzentwicklungsprozesse zusammenzuführen, beispielsweise durch das Sammeln und Bilanzieren von Kompetenzen, einer Tätigkeit, die positiv auf das Selbstwertgefühl und die Selbstdarstellung auf dem Arbeitsmarkt zurückwirkt. Die Übergangsberatung selbst geht hier aber weit über das übliche Beratungssetting hinaus, indem sie den beraterischen und pädagogischen Rahmen bietet, in dem Übergangskompetenzen weiterentwickelt und neu erworben werden können. Es geht um eine „Ermöglichungslernkultur“ (Arnold), die in diesem Aneignungssetting geschaffen wird.


Übergangskompetenz

Der Laufbahntheoretiker Bußhoff prägte zuerst den Begriff der Übergangskompetenz: Menschen müssten durch berufliche Orientierungsberatung in die Lage versetzt werden, Übergänge als Heraus­forderung anzunehmen und in den erforderlichen Bewältigungsprozessen unterstützt werden. Alle Kompetenzen, die ihnen bei diesem Unterfangen hilfreich sind, bezeichnet er als Übergangskompetenzen.

Er entwirft einen Katalog hypothetischer Übergangskompetenzen, darin wird Übergangsverhalten in einer solchen Qualität beschrieben, das die Betroffenen in die Lage versetzt, den je individuellen Übergang persönlich befriedigend und gesellschaftlich nützlich zu bewältigen.

Übergangskompetenz umfasst in Anlehnung an die vorhandenen Forschungsarbeiten und die Definition der Autorin demnach drei Bereiche:

  • Die Fähigkeiten und Bereitschaften einer Person, die erhöhten psychischen Anforderungen im Übergangsprozess mit Hilfe von Kompetenzen zur Stressbewältigung, durch ein gestärktes Ressourcenbewusstsein und eine adäquate Anpassungsbereitschaft an die Herausforderungen der Situa­tion zu bewältigen.
  • Die Anforderungen aus dem Übergangsprozess werden auf der Basis von biografischen Reflexionsprozessen und verstärkter Identitätsarbeit bearbeitet, wobei individuelle Gestaltungs- und Realisierungsmöglichkeiten ausgedehnt werden.
  • Die berufliche Neuorientierung wird in persönlich bedeutsamen und gesellschaftlich verantwortlichen Entscheidungs- und Selbstmanagementprozessen so vorbereitet, dass das Individuum über eine ressourcen- und kompetenzorientierte Haltung wieder handlungsfähig wird.

Die Kompetenzabfolge im Kreis entspricht der phasierten Abfolge des Übergangsgeschehens. Zudem ist es im Sinne der Transitionen des Soziologen Welzers möglich, sich vorzustellen, dass mehrere Kreise ineinander greifen oder überblenden. Die Beratungsarbeit wird dann am jeweils sich in den Vordergrund schiebenden Übergang ansetzen und die parallel verlaufenden Übergänge in dem Maß berücksichtigen, wie sie zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Person im Übergang herangezogen werden müssen.

Übergangskompetenzmodell

Kompetenzkreis Übergangskompetenzen

Übergangskompetenzmodel mit Binnenkompetenzen, Nohl 2009

Die Übergangskompetenzen wurden aus einem Komplexitätsmodell abgeleitet, das beschreibt, welche Kompetenzen Erwachsene zur Bewältigung (beruflicher) Übergänge benötigen. Nicht alle Kompetenzen werden in jedem Prozess relevant, aber alle im spezifischen Übergangsprozess benötigten Kompetenzen sollten sich auf das Modell abbilden lassen.


Übergangscoaching und Changeability-Training in der Praxis

Der oben dargestellte theoretische Vorarbeit mündete in das Beratungs- und Trainingskonzept Übergangscoaching Dr. Nohl®, in dem sowohl im Einzelcoaching als auch in Changeability-Trainings für Unternehmen und supervisorischer Begleitung von Gruppen in Veränderungsprozessen Menschen ermächtigt werden, ihre Übergangskompetenzen zu entwickeln. Der Prozess ist dreiphasig aufgebaut:

Diagnose

  • Einschätzung des persönlichen Standorts im Veränderungsprozess
  • Einschätzen der individuellen Stärke des Veränderungsprozesses anhand von Faktorenanalysen
  • Den eigenen Veränderungstypus und Bewältigungsmuster kennenlernen
  • Erfassen der aktuellen Veränderungskompetenzen und deren Entwicklungsbedarf bezogen auf die aktuelle Übergangssituation

Entwicklung der Übergangskompetenzen (Einzelkompetenzen oder bei Bedarf Kompetenzen im Team)

  • Abschied nehmen und wertschätzen von alten Aufgaben, Rollen, Themen, Arbeitsabläufen, Zuständigkeiten etc., Aufbau von Trennungskompetenz
  • Die aktuellen Hauptstressoren und Stressverstärker identifizieren und erste Strategien zur Stressreduktion entwickeln
  • Psychische und soziale Ressourcen erheben
  • Anpassung im Sinne von Resilienz als gelingende Interaktion mit dem Umfeld verstehen lernen
  • Bewährte Copingstrategien aus der Lebensgeschichte bilanzieren und ein erstes persönliches Sinnkonstrukt für den aktuellen Veränderungsprozess entwickeln
  • Die Grundlagen der Salutogenese als Fahrplan in schwierigen Zeiten auf das eigene Leben und Arbeiten übertragen

Bilanzierung, Zielfindung und Umsetzung

  • Persönliche Gestaltungsräume im Rahmen des (oft von außen vorgegebenen) Changeprozesses ausloten
  • Entscheidungen treffen, z.B. wo Prioritäten gesetzt und Energien hingeleitet werden
  • Ein motivierendes Haltungsziel als eigenes Leitbild für den Veränderungsprozess entwickeln
  • Neue Verhaltensweisen oder Einstellungen als Prototypen entwickeln und im geschützten Beratungs- oder Trainingsrahmen erproben
  • Die nächsten Schritte zum konstruktiven Umgang mit dem (äußeren) Veränderungsprozess planen

In der kompakten Weiterbildung zum Übergangscoach und zum Changeability-Trainer für Unternehmen vermittle ich die wesentlichen Hintergründe und ein umfangreiches Methodenset, damit Sie Einzelpersonen und Gruppen noch besser auf der Reise durch ihre Veränderungsprozesse begleiten können.

Beitragsbild: ©Rainer Sturm, www.pixelio.de

 


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